Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine, ein Vortrag von Dr. Gunther Schmid

Prof. Dr. Gunther Schmid, ein Fachmann im Sektor der internationalen Politik, der lange Jahre im Bundeskanzleramt dieses Feld mit bearbeitete, gewährte uns Einblicke in die Motivation Putins, einen blutigen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu führen.

Prof. Dr. Gunther Schmid im Vortrag



Die dramatischen Ereignisse rund um den Angriffskrieg Putins in der Ukraine, die die politischen Diskussionen der letzten Wochen dominierte, bestimmte häufig ebenfalls den PuG-Unterricht. Die Lehrer im Fach suchten gleichfalls nach Motiven und Erklärungen der für uns häufig irrational wirkenden Handlungen Putins. So wuchs der Wunsch, einen Fachmann zur Thematik an die Schule zu laden, der unsere offenen Fragen beantworten konnte. Herr Prof. Dr. Gunther Schmid, ein Experte in Fragen der internationalen Politik, erläuterte im Mai 2022 seine Sicht der Dinge. Sicherlich stark verkürzt finden Sie in der Folge die zentralen Thesen seines Vortrags.

Motive und Konfliktursachen aus russischer Sicht

Putins Ziel ist es, dass Russland behandelt wird, als existierte noch die UdSSR. Außerdem sollen die Auswirkungen des Zerfalls der UdSSR zurückgedreht werden. Viele Russen empfinden deren Kollaps als große Kränkung, was in einer großen Unzufriedenheit mündet.

Was macht die Ukraine so bedeutsam?

Die Ukraine war die Kornkammer und Waffenschmiede der UdSSR.

Warum war der Zeitpunkt des Angriffs für die Russen optimal?

Der Zeitpunkt des Überfalls war geschickt gewählt, da die Amerikaner durch den Abzug aus Afgha­nistan geschwächt waren und große innenpolitische Probleme zu bewältigen hatten (von Trump in Gang gesetzte Spaltungsprozesse, eine neue Regierung). Nord-Stream 2 ermöglichte die Umgehung von Polen und der Ukraine, Gas wurde als Erpressungsmittel einsetzbar. Großbritannien befand sich im Streit mit der EU, während Ungarn und Polen den Rechtsstaat demontierten.

Die berühmte Merkel-Lücke, der Wechsel zu einer von Putin als schwach empfundenen Ampelkoa­lition, kam ihm ebenfalls sehr gelegen. Am 81. Tag wurde die Ampelkoalition mit dem Ukraine­krieg und der Realität konfrontiert, dass die Bundeswehr uns nicht verteidigen kann.

Epochal fanden 77 Jahre ohne Krieg in Europa, die europäische Friedensordnung und der Glaube „Wandel durch Handel“ ein Ende. Es entstanden zudem auch finanzielle Belastungen aufgrund der Sanktionen.

Ebenfalls stellt sich die Frage, ob Deutschland diesen Krieg verkraften kann, ob Wohlstandsgesell­schaften ständige nukleare Drohungen ertragen können. Eine Antwort kann momentan noch nicht gegeben werden, da der Krieg erst noch in die nächste Phase gehen wird.

Stationen und Etappen von Putins Abwendung

Putin musste als KGB-Agent in Ostberlin den Niedergang der DDR hinnehmen. Dies fand seine Fortsetzung in der Erfahrung von Korruption und Zerfall in der UdSSR. 2003 etwa folgte die Ro­senrevolution in Georgien, die Präsident Schewardnadse hinwegfegte und 2008 in das militärische Eingreifen Russland und den Kaukasuskrieg mündete. 2004 führte die Orange Revolution in der Ukraine und 2005 die Tulpenrevolution in Kirgisistan zu einer russischen Einkreisungsphobie. In der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, die vielfach als Warnschuss empfunden wurde, positio­nierte sich Putin gegen eine von ihm so empfundene monopolare Weltherrschaft der USA, die ande­ren Staaten ihre Regeln aufdrängt, die sie nicht wollten und in militärischen Abenteuern tausende von Menschenleben opfert. Außerdem stellte er die Frage, gegen wen sich die NATO-Osterweite­rung richtet, die gegebene Garantien im Rahmen der Wiedervereinigung verletzt.

Putin wollte das alles so nicht hinnehmen, was unter anderem in den von ihm geäußerten Sätzen “Der Untergang der UdSSR ist die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhundert“ oder „Der Untergang der UdSSR ist ein Irrtum der Geschichte und muss korrigiert werden“ zum Ausdruck ka­men. In weiteren Kriegen, etwa in Syrien, erprobt Putin die Strategien, die nun in der Ukraine zum Einsatz kommen. Putins Selbstradikalisierung schreitet voran und kommt in seiner totalitären Pro­paganda etwa mit Begriffen der „Deukrainisierung der Ukraine“ zu Ausdruck. Mit Russland als ein­dimensionaler Militärmacht betreibt Putin sein historisches Projekt „Geschichtsvollzieher“ als his­torische Mission voran, die die verflossene Macht der UDSSR in Russland restaurieren will.

Welche Rolle spielt China?

Die Beziehungen zwischen Russland und China waren noch nie konfliktfrei. 1969 standen China und Russland am Rande eines Atomkriegs. Auf beiden Seiten gibt es bis heute ein tiefes Misstrauen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen Chinas mit Europa lassen sich nicht von der Hand weisen. Chinas Rolle in einem hochkomplexen Konfliktgeschehen bleibt also ambivalent.

Optionen Putins im Ukrainekrieg

Professor Schmid beleuchtete abschließend Optionen Putins im Ukrainekrieg. Im am wahrschein­lichsten Krim-Szenario würde in einem Referendum der besetzten Gebiete der Wechsel zu Russland beschlossen. Weiter möglich wäre eine Teilung der Ukraine oder eine Abtrennung des Donbass. Nicht ausgeschlossen werden kann jedoch ebenfalls ein Staatsstreich in Russland, durchgeführt etwa vom Geheimdienst, dem Militär oder dem Kreml. Da Russland hierarchisch, vertikal struktu­riert ist, entstünde die Gefahr, dass der Staat zerfällt.